TUI Cruises bieten „Kreuzfahrten ins Blaue“, bezeichnet diese auch als „Blaue Reisen“. Solche „Blaue Reisen“ gab es mit kleinen Küsten-Kreuzfahrtschiffen schon lange – als Kreuzfahrten in der Ägäis und entlang der kroatischen Küste, um möglichst nahe an „Land und Leuten“ zu sein, für ungewöhnliche, naturnahe Erlebnisse, und die Routen stets ein wenig angepasst an die klimatischen Verhältnisse und auch an die Interessen der Passagiere.
„Blaue Reisen“ soll es jetzt auf Schiffen, die ausgelegt sind auf 2.500 bis 3.000 Passagiere, wegen Corona allerdings nur belegt mit etwa 60 Prozent, geben? Irgendwie kommt da in den Sinn, dass im alltäglichen Sprachgebrauch mit „blau sein“ gerne ein Zustand benannt wird, der mit übermäßigem Alkoholgenuss in Verbindung steht – und der gerne mit Kreuzfahrten, die All-In-Versorgung auch mit hochprozentigen alkoholischen Getränken bieten, in Verbindung gebracht wird.

Kreuzfahrten ins Blaue, für eine Kurzreise, nur ein paar Tage ohne jeglichen Hafenanlauf, auf die See hinaus … Wohl dem, der da bei All-In nicht nachdenklich wird oder gar „Böses“ denkt. Längere Kreuzfahrten, entlang der norwegischen Küste – auch gut gemeint. Aber bei einem solchen Angebot scheint die Umweltdebatte der vergangenen Jahre völlig an den Verantwortlichen vorbeigegangen und von diesen verdrängt worden zu sein, gerade bei einem Anbieter, der so vehement die eigenen diesbezüglichen Leistungen betont.
Große Hochseeschiffe fahren auf diesen Reisen lange Strecken, um für einige wenige Stunden die Fjorde zu füllen, in denen sie nicht einmal anlegen werden. Diese Schiffe sind die meiste Zeit auf See. Sie können ernst genommen gar keine wirklichen Küstenstrecken durch die Schären Norwegens fahren, wie beworben wird; sie sind einfach zu groß dafür. So zeigt sich eigentlich nur ein enormer Energieeinsatz und eine Umweltbelastung für eine Marketing-Idee, um mit einer Fahrt nach Norwegen werben zu können – um für wenige Stunden ein Panoramabild in den Fjorden vorzuführen, das ebenso gut auf einer Großleinwand präsentiert wäre. Dann doch gleich mit All-In irgendwo feiernd vor der Küste dümpeln …
Abgesehen davon zeigt sich so auch eine weitere Pervertierung des Kreuzfahrt-Tourismus. Hatten schon bisher die touristischen Regionen, die von den Kreuzfahrtschiffen angelaufen werden, bedingt durch deren All-In-Angebot, nur sehr begrenzt positive ökonomische Effekte, zeigt sich nun eine Form, die keinerlei Bezug hat zu dem Land, das angefahren wird – Versorgung und Unterhaltung sind komplett auf dem Schiff verankert, das angefahrene Land ist nur mehr eine Kulisse. Wie ein Bildschirm.
Schön, dass TUI Cruises das alles so treffend als „Blaue Reisen“ bezeichnet hat. Bei AIDA heißt es nur „Leinen los“. Eine eher nüchterne Formulierung, die bei näherer Betrachtung eigentlich dafür steht, dass das Geschäft wieder laufen muss …
Noch überwiegt die Sorge, dass diese mehr ökonomisch motivierten „Frühstarter“ zu Corona-bedingten „Querschlägern“ oder gar „Vollstoppern“ werden könnten. Aber mehr hat man die Hoffnung, dass nach all den Auszeiten und Wirrungen der Kreuzfahrtanbieter endlich einmal ordentlich konzeptionell nachgedacht wird. Das ungebremste, in den letzten Jahren fast ungesteuerte Wachstum konnte nicht die Zukunft sein – jetzt muss es darum gehen, die Kreuzfahrt mit ihren verschiedenen Schwerpunkten neu aufzustellen.
Bernhard Jans
30. Juli 2020
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